Aus der Privatbiografie eines Mannes, der seine frühe Kindheit in Südmähren (jetziges Tschechien) verbracht hatte:

Ich saß am geöffneten Fenster meiner Bibliothek im ausgebauten Dachgeschoss und vertiefte mich in ein Buch. Über die Jahre hatte sich hier eine ansehnliche Sammlung angesammelt, die ich jedoch oft vernachlässigte. Doch heute wollte ich mir bewusst Zeit zum Lesen nehmen. Kaum hatte ich es mir in meinem Ohrensessel gemütlich gemacht und das Buch aufgeschlagen, da drang plötzlich das laute Kindergeschrei aus dem Nachbargarten zu mir herauf. Der Lärm machte es mir unmöglich, mich auf den Text zu konzentrieren. Genervt sprang ich auf, um durch ein energisches „Ruhe“ für Stille zu sorgen. Doch als ich auf das Fenster zutrat, überkam mich eine unerwartete Welle von Erinnerungen, die ich fast vergessen, vielleicht sogar verdrängt hatte …

August 1958 – Mein Bruder Horst (10), die Nachbarskinder und ich (12) spielten im Hof unser Lieblingsspiel, Scheiteldrehen. Ein Versteckspiel, bei dem der Fänger nicht nur suchen, sondern auch seine kleinen Stöckchen vor den unentdeckten Spielern verteidigen musste. Meine Mutter hing in der Nähe Wäsche auf und schimpfte liebevoll mit Seppi, einem Nachbarsjungen, der mit seinen schmutzigen Fingern durch die frisch gewaschenen Laken kroch. Plötzlich hörten wir ein lautes Motorengeräusch. Neugierig unterbrachen wir unser Spiel und krochen aus den Verstecken hervor – ein Auto war für uns ein seltenes Ereignis. Kurz darauf bog ein roter VW-Käfer schwungvoll in den Hof ein, Kies spritzte zur Seite, und wir Kinder johlten vor Aufregung. Nur meine Mutter warf einen besorgten Blick auf ihre Wäsche.

Der Käfer kam mit quietschenden Reifen ein paar Zentimeter vor meiner Mutter zum Stehen. Doch sie zeigte keine Angst – vielleicht waren ihr diese Gefühle auf der Flucht 1946 irgendwo zwischen Nikolsburg und Straubing verloren gegangen, wie sie mir einmal kurz vor ihrem Tod im Spätherbst 1980 erzählt hatte.

Wir Kinder umringten das Auto, dessen Insassen – mein Onkel Theo, seine Frau Erika und meine Cousine Marie (16) – nur mühsam die Türen öffnen konnten. Meine Mutter schüttelte lächelnd den Kopf, halb empört, halb erfreut. Mein Onkel hatte sich endlich seinen Traum vom eigenen Auto erfüllt – einen gebrauchten VW-Käfer, Baujahr 1952, noch mit dem charakteristischen geteilten Rückfenster …

… Und so saß ich bald darauf im Fond des Käfers, eingepfercht zwischen meiner Oma und Marie. Onkel Theo steuerte das Auto voller Stolz durch die kurvigen Straßen hinauf zum Parkplatz Tatzelwurm. Während sich die Kurvenwinde drehten, wechselten auch die Gerüche: Omas strenge Mottenkugeln einerseits, und der betörende Duft von Maries Veilchenseife andererseits. Jedes Mal, wenn ich gegen Oma drückte, wurde Marie dichter an mich gepresst, was mir die perfekte Ausrede lieferte, Onkel Theos Fahrweise lautstark zu kommentieren – natürlich nur, um den Anschein zu wahren, dass das Zappeln keine Absicht war.

Dank meines ständigen Herumzappelns rutschte Maries Sommerkleid immer weiter über ihre Knie. Mir wurde heiß, nicht nur wegen der mageren Luftkühlung des Käfers, sondern auch wegen des Anblicks ihrer schönen Oberschenkel – ein Moment, der die aufkeimenden Gefühle eines Zwölfjährigen ordentlich durcheinanderbrachte …

 

Aus der Privatbiografie eines Mannes, der seine frühe Kindheit in Schlesien (jetziges Tschechien an der Grenze zu Polen gelegen) verbracht hatte:

Meine Geschwister und ich bildeten eine enge Einheit – eine Notwendigkeit, um den strengen Erziehungsmethoden – „der Eisernen Hand“ – unseres Vaters standzuhalten. Was er sagte, hatte Gewicht, es war Gesetz im Hause. Während andere Kinder dem Jungvolk beitraten oder Freizeit genossen, mussten wir zu Hause helfen. „Bei den Bergers gibt es keine Ausnahmen“, pflegte unser Vater zu sagen. Ab 1939 wurde dies dann ohnehin zur gesetzlichen Pflicht. Was heute als hart und unnachgiebig erscheint, bot uns in den schwierigen Zeiten vor und während des Zweiten Weltkriegs auch eine Form von Sicherheit. Anders als viele Kinder in den Städten litten wir keinen Hunger, denn unser Bauernhof mit seinen 16 Hektar Land versorgte uns mit allem Notwendigen.

Meine Mutter war der ruhende Pol der Familie – liebevoll und mitfühlend, stets bemüht, die emotionale Distanz unseres Vaters auszugleichen. Gemeinsam mit unseren Großeltern lebten wir in einem kleinen Bauernhaus, was oft zu Platzmangel führte. Deshalb schliefen wir Kinder teilweise in der Küche. Im Winter kroch ich, der kleine Brunola, heimlich zu meinen Großeltern ins Bett, wo ich von meiner Großmutter als lebendiges Heizkissen herzlich willkommen geheißen wurde.

Schon als kleine Kinder mussten wir auf dem Hof mitarbeiten, und mit zunehmendem Alter stiegen auch die Erwartungen meines Vaters. Lob war selten, Tadel dafür häufig. Doch was er von uns verlangte, forderte er auch von sich selbst. Vor der Schule und nachmittags versorgten wir die Tiere und arbeiteten auf den Feldern. Am Abend, während unser Vater seiner Nebentätigkeit als Viehhändler im örtlichen Gasthaus nachging, halfen wir unserer Mutter bei den Hausarbeiten. Erst danach hatten wir etwas Zeit zum Spielen – sei es mit den geschnitzten Holzfiguren von Onkel Franz oder beim Kartenspielen mit den Geschwistern. Meine Schwester hatte es als Mädchen etwas leichter; sie blieb von der schweren Feldarbeit verschont und half stattdessen im Haushalt. Nach der Schule sollte sie eine Ausbildung zur Schneiderin beginnen.

Die beiden Biografien sind nach Studium einiger Briefe oder sonstiger Korrespondenz (geschäftliche Unterlagen) immer dem jeweiligen Schreibstil des Auftraggebers angepasst worden.

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